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Hrant Dink Forum Köln

 

Protest gegen die Verhaftung des türkischen Schriftstellers Dogan Akhanli

Die jetzt bekannt gewordene Verhaftung des türkischen Schriftstellers Dogan Akhanli am 10. August in Istanbul und die Anklageerhebung vom 28. August fordern internationalen Protest heraus.

Als österreichische Autoren und Autorinnen, Verlegerinnen und Verleger wollen auch wir zu diesen Vorgängen nicht schweigen. Sie sind weder eine innertürkische, noch eine rein juristische Angelegenheit. Auf dem Spiel stehen vielmehr: die Freiheit des Wortes sowie die Glaubwürdigkeit der türkischen Justiz, der Republik Türkei und ihrer Werte.

Wir sind sicher, dass ein faires, seriöses Rechtsverfahren die Unschuld von Dogan Akhanli erweisen würde; wir haben jedoch Zweifel, dass die Bedingungen dafür gegeben sind. Zahlreiche Hinweise legen nahe, dass die angebliche Beteiligung Dogan Akhanlis an einem Raubüberfall im Jahr 1989 eine konstruierte Anklage ist, die auf die Bloßstellung und Verleumdung eines kritischen Autors abzielt. Juristische Expertisen kommen zu dem Schluss, dass die Vorwürfe haltlos sind: Belastende Aussagen wurden 1992 unter Folter erzwungen, Verfahrensfehler wurden festgestellt, entlastendes Material wurde nicht zugelassen. Das wirft ein fragwürdiges Licht auf die Ermittlungsbehörden, auf die Ankläger und ihre Motive. Wer den Autor Dogan Akhanli persönlich erlebt hat, wird darüber hinaus die Vorstellung seiner Mitwirkung an einem Raubüberfall als absurd empfinden. Es ist zusätzlich unwürdig, dass unser Kollege auf dem Weg zu seinem schwerkranken Vater verhaftet wurde. Dass er diese Reise aus Deutschland in seine alte Heimat angetreten hat, spricht für sein reines Gewissen.

Die letzten Jahre haben deutlich gemacht, dass die Türkei auch im 21. Jahrhundert ein Land ist, in dem die freie Meinungsäußerung mit persönlichen Risiken verbunden ist. Dieser mächtige Staat hat sich als unfähig erwiesen, die Freiheit und Sicherheit seiner geistigen Repräsentanten zu schützen. Ganz im Gegenteil wurde in Kauf genommen, dass Schriftsteller und Verleger, Publizisten und Journalisten zur Zielscheibe nicht nur der Kritik wurden: Orhan Pamuk, der seinem Land die größte literarische Auszeichnung eintrug, sah sich dort beschämenden Vorwürfen ausgesetzt. Die Soziologin und Publizistin Pınar Selek wurde bis zu ihrem Freispruch 2006 in einem zermürbenden Prozess jahrelang einer angeblichen Gewalttat beschuldigt und wird in dieser Sache nun neuerlich vor Gericht gestellt. Die Ermordung des armenischen Journalisten Hrant Dink, der sich oft zur Türkei bekannt hat, hat das Ansehen seiner Heimat international beschädigt. In besonderem Maße hat sie dazu beigetragen, das Vertrauen in die türkischen Ermittlungsbehörden und die Unabhängigkeit der Justiz zu erschüttern, die jetzt erneut weltweit negativ Schlagzeilen machen.

Es sind Schriftsteller wie Nâzim Hikmet, Yaşar Kemal und Orhan Pamuk, die dank ihrer gedanklichen und künstlerischen Unabhängigkeit der jüngeren türkischen Kultur internationale Anerkennung verschafft haben. Es waren die Erzählkunst und die Macht des Wortes, die der Türkei das Tor zur Welt weit geöffnet haben. Sie haben dazu beigetragen, dass Europa sich immer mehr auf das faszinierende Land zwischen Orient und Okzident eingelassen hat: der Schwerpunkt der Frankfurter Buchmesse 2008 und die Ehrung Istanbuls als Europäische Kulturhauptstadt 2010 prägen ein positives Türkeibild nachhaltig. Die Diskussion über eine Aufnahme der Türkei in die Europäische Gemeinschaft wird durch diese neue Wahrnehmung im Sinne der Befürworter günstig beeinflusst.

Was hier aufgebaut werden konnte, steht nun abermals auf dem Spiel. In diesem Sinne ist der Fall von Dogan Akhanli in mehrfacher Hinsicht ein politischer Fall. Der von der jungtürkischen Regierung entfesselte Völkermord an den Armeniern spielt dabei eine Schlüsselrolle: Akhanli hat in seinem Roman  "Die Richter des Jüngsten Gerichts" auf diese Ereignisse aus der Geschichte des Osmanischen Reichs Bezug genommen, die unter seriösen Historikern seit langem unbestritten und ins Gedächtnis der Welt eingeschrieben sind. Damit ist er zur literarischen Stimme einer großen Zahl von Türken geworden, die nicht länger die Leugnungsdoktrin hinzunehmen bereit sind.

Dogan Akhanli hat aus innerer Anteilnahme an der Vergangenheit und Gegenwart seines Volks mit seinem Roman Geschichte geschrieben: Als erster türkischer Autor hat er es gewagt, die Verfolgung der Armenier zu seinem zentralen Thema zu machen. Thematisch steht er dabei in einer Reihe mit Autoren wie den Deutschen Edgar Hilsenrath und Armin T. Wegner oder Franz Werfel und Eugen Hoeflich, die in Österreich gelebt haben. Akhanlis Werk ist in deutscher Übersetzung in einem österreichischen Verlag erschienen. (Kitab Verlag, Klagenfurt, 2007)

Dogan Akhanlis Lebensweg vom politischen Flüchtling in Deutschland zum angesehenen türkischen Schriftsteller wurde 2009 mit der Verleihung des Literaturpreises der angesehenen Zeitung Hürriyet unterstrichen. Sein schriftstellerisches Werk und sein bürgerschaftliches Engagement gehen Hand in Hand. Im Mittelpunkt steht dabei die Erinnerungsarbeit, die heute zum Frieden und zur Versöhnung zwischen den Völkern beiträgt.

So ist es ein fundamentales Missverständnis, in Dogan Akhanlis Roman einen türkeifeindlichen Akt zu sehen. Wer hat diese große Angst vor 200 Seiten Fiktion? Wie ist es um das Selbstbewusstsein eines modernen Staats mit reicher Tradition bestellt, dass er nicht zu verkraften glaubt, was seine Schriftsteller ihm zutrauen: sich der eigenen Geschichte nach bald 100 Jahren zu stellen? Die fruchtbare und befreiende Kraft solcher Prozesse ist in vielen Ländern auf der ganzen Welt zu beobachten, die den offenen Diskurs zugelassen haben. Dabei kam Schriftstellern oft eine Schlüsselrolle zu. Ihre Namen hat die Menschheit nicht vergessen.

Man kann die Türkei lieben - und gleichzeitig Unrecht beim Namen nennen. In diesem Sinne erklären wir uns solidarisch mit den türkischen demokratischen Kräften, von deren Zivilcourage wir beeindruckt sind. In diesem Sinne fordern wir zugleich: die Rückkehr der türkischen Behörden zu rechtsstaatlichen Grundsätzen und die sofortige Freilassung unseres türkisch-deutschen Kollegen Dogan Akhanli.


Gerhard Ruiss, Autor, Geschäftsführer IG Autorinnen Autoren, Wien
Christoph Haacker, Verleger, Arco Verlag, Wien-Wuppertal
Helmuth A. Niederle, Autor, Wien
Renate Welsh, Autorin, Präsidentin IG Autorinnen Autoren, Wien
Wilhelm Baum, Verleger, Kitab Verlag, Klagenfurt, Kärnten
Hahnrei Wolf Käfer, Autor, Wien
Johanna König, Autorin, Klagenfurt
Peter Paul Wiplinger, Autor, Wien
Heinz Lunzer, Literaturwissenschaftler, Wien
Victoria Lunzer-Talos, Literaturwissenschaftlerin, Wien
Nils Jensen, Autor, Zeitschriftenherausgeber Magazin "Buckultur", Wien
Manfred Chobot, Autor, Wien
Erika Kronabitter, Autorin, Feldkirch, Vorarlberg
Andreas Kövary, Autor, Wien
Konrad Kuhn, Dramaturg und Buchautor, Opernhaus Zürich, Wien-Zürich
Peter Turrini, Autor, Retz/Niederösterreich
Autorin, Herausgeberin, ULNOE - Unabhängiges Literaturhaus in Niederösterreich, Krems/NÖ-Wien
Konstantin Kaiser, Autor, Wien, IG Autorinnen Autoren, Wien
Arco Verlag, Wien-Wuppertal
Writers in Prison Committee des Österreichischen P.E.N. Clubs, Wien
Kitab Verlag, Klagenfurt, Kärnten
Theodor Kramer Gesellschaft, Wien

Wien, 8.9.2011





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