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Hrant Dink Forum Köln

Offener Brief an Außenminister Guido Westerwelle

 

Der deutsch-türkische Schriftsteller Dogan Akhanli muss freigelassen werden und ein rechtsstaatliches Verfahren erhalten

 

27. Aug. 2010

Sehr geehrter Herr Westerwelle,
 
Am 10. August 2010 wurde der bekannte deutsch-türkische Schriftsteller Dogan Akhanli am Flughafen in Istanbul verhaftet und in die Haftanstalt Metris verbracht. Seit dem 20.8.2010 wird er in einer Haftanstalt in Tekirdag festgehalten. Akhanli ist seit 2001 deutscher Staatsbürger. Er kehrte zum ersten Mal nach 19 Jahren Emigration in Deutschland in die Türkei zurück, um seinen kranken Vater zu besuchen.
 
Aktion Sühnezeichen Friedensdienste kennt und schätzt Dogan Akanli als langjährigen Freund und Kooperationspartner in vielen Projekten zu erinnerungspolitischen Diskursen in der Einwanderungsgesellschaft. Denn neben seinen schriftstellerischen Tätigkeiten engagiert sich Akhanli für Erinnerung und Menschenrechte. Er ist ehrenamtliche Führungskraft am NS-Dokumentationszentrum EL-DE-Haus Köln und Initiator der Raphael-Lemkin Bibliothek im Allerweltshaus Köln.
 
Desweiteren war er in der Initiative "Kölner Appell gegen Rassismus" aktiv und sprach u.a. auf Gedenkveranstaltungen für den in der Türkei ermordeten armenischen Journalisten und Autor Hrant Dink.

Zur Biografie des Schriftstellers und Menschenrechtsaktivisten 

Dogan Akhanli (geb. 1957) lebt seit 1992 in Köln. Nach dem Militärputsch von 1980 in der Türkei war er zunächst im Untergrund. Von 1985 bis 1987 war er als politischer Häftling im Militärgefängnis von Istanbul inhaftiert und wurde dort gefoltert. Er floh 1991 nach Deutschland, wurde hier als politischer Flüchtling anerkannt und später von der Türkei ausgebürgert. In Romanen, Aufsätzen und Interviews und in Projekten in Deutschland hat er sich immer wieder für den offenen Umgang mit historischer Gewalt und für die Unteilbarkeit der Menschenrechte eingesetzt. Schwerpunkt seines zivilgesellschaftlichen Engagements sind das Gedenken an die Genozide des 20. Jahrhunderts (unter Einschluss des Völkermords an den Armeniern) und der interkulturelle, auf Versöhnung orientierte Dialog. Akhanlis Projekte wurde unter anderem von der Bundesstiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" gefördert und vom Bündnis für Demokratie und Toleranz ausgezeichnet. Im Jahr 1998/99 erschien in türkischer Sprache seine Trilogie Kayıp Denizler (Die verschwundenen Meere). Der letzte Band der Trilogie, Die Richter des jüngsten Gerichts (Kıyamet Günü Yargıçları), thematisiert den Völkermord an den Armeniern von 1915. Akhanlis so beachteter Roman, „Madonna’nın Son Hayali” (Der letzte Traum der Madonna) wurde 2005 im Kanat-Verlag veröffentlicht. Das Buch berichtet über den Fall ‚Struma’, ein Flüchtlingsschiff, das 1942 im Schwarzen Meer versenkt wurde und 769 jüdische Flüchtlinge in die Tiefe riss. Das Buch wurde von türkischen Kritikern und Schriftstellern zu den besten zehn Romanen des Jahres 2005 gerechnet. 2009 erhielt Akhanli den Literaturpreis der Zeitung "Hürriyet". Dogan Akhanli hat sich intensiv für die Aufklärung des Mordes an Hrant Dink eingesetzt und erinnert an die friedensstiftende Arbeit dieses Journalisten und Autoren.
 
Dogan Akhanli ist Mitarbeiter des gemeinnützigen Vereins „Recherche International“. Der Verein befasst sich vorrangig mit der bildungsorientierten Aufarbeitung von genozidalen Gewalterfahrungen; der Verein ist u.a. Träger des Projekts „Die 3. Welt im 2. Weltkrieg“.

Zu den Tatvorwürfen und dem Verfahren

Die türkischen Anklagebehörden werfen Akhanli nun vor, er sei im Oktober 1989 an einem Raubüberfall auf eine Istanbuler Wechselstube beteiligt gewesen, bei dem ein Mensch getötet wurde. Akhanli hat diesen Vorwurf und jegliche Verbindung zu dem Überfall entschieden zurückgewiesen. Seine Anwälte, Haydar Erol (Istanbul) und Ilias Uyar (Köln), halten die von der Staatsanwaltschaft vorgelegten Beweismittel für völlig haltlos.
 
Tatsächlich hat der erste Zeuge, der Akhanli 1992 belastete, unter schwerer Folter ausgesagt (medizinisches Gutachten liegt vor) – seine, zudem widersprüchliche, Aussage ist nach rechtsstaatlichen Kriterien nicht verwertbar. Außerdem hat er vor wenigen Tagen gegenüber den Anwälten von Akhanli seine damalige Behauptung zurückgenommen. Nach der 1992 durch Folter erpressten Beschuldigung hat die Polizei dem Tatzeugen, Sohn des Opfers, seinerzeit Fotos ausschließlich von Akhanli vorgelegt und ihn in suggestiver Weise zu der Aussage gebracht, der Mann auf den Fotos sei möglicherweise einer der drei Täter. Auch diese Aussage würde in einem rechtsstaatlichen Verfahren nicht zur Inhaftierung von Dogan Akhanli ausreichen; dem Zeugen hätten, auch nach türkischem Recht, zumindest die Fotos von mehreren Personen vorgelegt werden müssen, damit er überhaupt eine Auswahl hätte vornehmen können. Das hat die Polizei am 13.8.2010 nachgeholt. Der Zeuge hat an diesem Tag auf der Polizeiwache, ebenso wie sein Bruder, zu Protokoll gegeben, er könne Herrn Akhanli nicht als Täter identifizieren.
 
Am 20. August 2010 lehnte ein Haftrichter die Haftbeschwerde von Akhanlis Anwälten ab, nachdem die entlastenden Zeugenaussagen vom zuständigen Staatsanwalt weder der Hauptakte beigefügt noch dem Haftrichter übermittelt worden waren.
 
Akhanli wusste von vagen Vorwürfen gegen ihn durch die türkischen Behörden. Deshalb hat er vor seiner Abreise vorsorglich Anwälte und einige Freunde gebeten, ihn im Falle einer Inhaftierung zu unterstützen.
 
Selbstverständlich hat die türkische Justiz das Recht, zum besagten Raubüberfall aus dem Jahr 1980 zu ermitteln. Allerdings erwarten wir, dass das Auswärtige Amt dafür Sorge trägt, dass Dogan Akhanli als deutscher Staatsangehöriger dahingehend geschützt wird, dass er ein rechtsstaatliches Verfahren erhält.
 
Gemeinsam mit Günther Wallraff und vielen anderen Freunden und Kollegen von Dogan Akhanli fordern wir dessen Freilassung und ein rechtsstaatliches Verfahren.
 
In der großen und dringlichen Hoffnung, dass Sie unser Anliegen teilen und den türkischen Partnern nahe bringen, grüße ich Sie mit herzlichem Dank im Voraus und besten Wünschen
 

Christian Staffa

Geschäftsführer

Aktion Sühnezeichen Friedensdienste


 


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