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Sevim Meral


aus: "Erinnerungen an eine neue Heimat"

1941 in Adana geboren
seit 1965 in Deutschland

"[...] Ich war in einer miserablen Lage damals. Auf Wunsch meiner Eltern wurde ich mit 17 verlobt. Mit 24 war ich Mutter von zwei Kindern, wir lebten in Adana, meine Eltern waren in kürzester Zeit nacheinander gestorben. Mein Mann war Händler, brachte aber kein Geld nach Hause – und ich durfte nicht arbeiten. Als verheiratete Frau geziemte es sich für mich nicht zu arbeiten, seine Eltern erlaubten es nicht. Dabei hatte ich eine Lehre als Damenschneiderin abgeschlossen. Auf Dauer konnt­en wir aber ja nicht nur von der Unterstützung seiner Familie leben. Mein älterer Bruder riet mir: ‘Geht nach Europa! Dein Mann zuerst und dann kommst du mit den Kindern nach.’ Ich war bereit, alles aufs Spiel zu setzen. Aber mein Mann sagte: ‘Ich kann nicht gehen. Ich kann die Sprache nicht. So erbärm­lich will ich nicht leben! Geh du, mich kannst du später nach­holen.’ Also ging ich alleine.

[…] Von einem auf den anderen Tag habe ich alles hinter mir gelas­sen. Wir waren zu Hause sieben Geschwister, meine Großmut­ter hatte zwölf Kinder. Mein Vater besaß früher ein Kaffeehaus; ich erinnere mich aber nur noch an die Zeit, als er Sand vom Fluss zu Baustellen transportierte. Meine Mutter arbeitete als Hilfsköchin in einer Textilfabrik. Aber diese Zeit war ohnehin vorbei, meine Eltern waren gestorben. Ich trennte also mein neu geborenes Kind von meiner Brust und fuhr nach Istanbul – zusammen mit meiner Schwägerin. Dort wurden die Untersuchungen gemacht. Das Arbeitsamt, also Deutschland, teilte uns in Gruppen auf. Das Blut, der ganze Körper wurde von den deutschen Ärzten untersucht. Nur die Unterhose hatten wir noch an. Jede Stelle unseres Körpers wurde betrachtet. Bei einer weiteren Kontrolle wurden Röntgenaufnahmen gemacht. Sie haben alles untersucht: die Nieren, die Nerven, alles. Dann gab es eine Unterschrift vom Arzt: Wir waren gesund, wir konnten ausreisen. Meine Schwägerin musste allerdings zurück nach Adana. Sie hatte die Kontrollen nicht bestanden. Auf ihrem Röntgenbild war eine Narbe zu sehen gewesen. Ihr Mann kam aus Adana nach Istanbul, um sie wieder abzuholen. Für uns andere Frauen ging es weiter. Wir hatten in Istanbul einen sechs- oder siebenwöchigen Sprachkurs bekommen. Ich wohnte in dieser Zeit bei einer deutschen Dame, die mit einem Türken verheiratet war. Sie war ein guter Mensch, irgendwie diktatorisch, aber so diszipliniert. Am Ende drückte man mir einen Vertrag von Siemens in München in die Hand, ich ging zum Arbeit­samt, erhielt meine Zugfahrkarte, wir stiegen in den Zug und kamen hierher.

[…] In den ersten Monaten in München besuchte ich einen Deutschkurs. Aber ich habe es nicht fertig gebracht. Ich habe gearbeitet – und dann die Sehnsucht nach den Kindern! Ich war ja in der Fremde. Hätte ich mich weniger um sie gesorgt, hätte ich die Sprache wohl gelernt. Ich habe mir die deutschen Zeitungen und Fernsehprogramme angesehen, aber nicht alles verstanden. Damals gab es noch keine türkischen Kanäle. Man war irgendwie außen vor. Auf der Arbeit gab es aber nie Probleme, so weit hat es dann doch gereicht. Wir wohnten im Heim mit sehr vielen Türken und Griechen zusammen, Italiener gab es auch ein paar. Auf dem Markt haben wir kiloweise Spinat eingekauft. Die älteren deutschen Frauen guckten uns erstaunt an: ‘Wie kocht ihr das denn?’, wollten sie wis­sen. Wir haben es ihnen mit Händen und Füßen erklärt. An einem anderen Tag kamen Mandarinen aus Mersin auf den Markt. ‘Mädels, kommt her!’, habe ich gerufen. ‘Mandarinen aus Mersin!’ Die deutschen Frauen wollten wissen, wie man die Mandarinen isst. Ich habe also eine in die Hand genom­men, geschält, die Kerne rausgenommen – und die Schale in die Tüte geworfen. Es war ja verboten, Müll auf den Boden zu werfen. Müll: 5 DM Strafe, Blumenpflücken: 5 DM Strafe. Das sind so Geschichten... unser Leben ist voll von solchen Erinnerungen! Wie ein Märchen, denke ich manchmal."

 

 

aufgezeichnet von Dorte Huneke für die Ausstellung "Erinnerungen an eine neue Heimat"

Der zweisprachige Katalog und die Filme zur Ausstellung sind über das KulturForum erhältlich.


 


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