Kulturforum Türkei Deutschland e.V.
English VersionTurkish VersionIMPRESSUM | KONTAKT

Projekte
  Aufstand_Workshop
  Journalistenprogramm
  cafeterra
  New Media
FILME
Radio & TV
Newsletter
Presse
Über uns
Hrant Dink Forum Köln

Karin Yarar


aus: "Erinnerungen an eine neue Heimat"

1941 in Weinheim bei Mannheim geboren
seit 1961 in der Türkei

"Ich war 15, als ich zum ersten Mal Bilder von der Sultan Ahmet Moschee und der Hagia Sophia gesehen habe. Ein Schulkamerad von mir war nach Griechenland und in die Türkei getrampt und hat so tolle Sachen erzählt. So interessant! Aber geheimnisvoll. Nie ist er bis zum Schluss gekommen. Und da fing das an mit der Türkei. Nach Abschluss meiner Schneiderlehre bin ich dann endlich mit Freunden in die Türkei gefahren. Damals ist man mit der Eisenbahn gefahren, das waren 50 Stunden oder 60, mit Übernachtung in Saloniki, Visumsprobleme... Als wir endlich in Istanbul ankamen und aus dem Zug stiegen, standen da zwei junge Männer vor dem Zug – und einer davon ist jetzt mein Mann!

Und zwar hatte ich in der Eisenbahn eine junge Frau aus Bremen kennengelernt, die von einer türkischen Familie eingeladen war. Der junge Mann, dessen Schwester in Bremen arbeitete, konnte allerdings wenig Deutsch, deshalb hatte er meinen Mann gebeten, mit zum Bahnhof zu kommen. Das Büro meines Mannes war damals in der Nähe des Bahnhofs Sirkeci – da ist er mitgegangen. Mein Mann mit seinen Deutschkenntnissen hat sich schön um uns gekümmert, und so hat sich das ent­wickelt. In Deutschland hatte ich wegen meiner Größe sehr unter Minderwertigkeitskomplexen gelitten. Damals waren ja die Frauen noch nicht so groß. Die ganze Jugend ging zum Tanzen, alle waren auf der Tanzfläche, wer hat nebendran gesessen? Ich. Weil ich zu groß war. In der Türkei war ich etwas Besonderes und stand im Mittelpunkt. Das hat meiner verwundeten Seele gut getan.

Ich hatte schon während der Lehre angefangen, Türkisch zu lernen, hatte mir Lehrbücher gekauft und habe versucht Zeitungsberichte mit Bildern aus der Türkei zu finden. Aber damals, in den 50er Jahren, wo war da die Türkei? Auf der anderen Seite vom Mond! Ich bin dann nochmal hin, habe mir die Sache überlegt. Dann ist mein Mann nach Deutsch­land gekommen, hat sich bei meinen Eltern vorgestellt. Das war natürlich entsetzlich damals: Türkei. So weit weg! Aber als ich darauf bestanden habe, haben meine Eltern nur gesagt: ‘Mädl, du bist alt genug, du musst wissen, was du tust. Wenn du Krach hast mit deinem Mann, kannst du nicht dein Köfferchen packen und nach Hause kommen.’ Mein Vater hat mir ans Herz gelegt, dass man sich an sein Gastland anpassen und nie versuchen soll, seine eigenen Sitten und Gebräuche dort zu verbreiten.

[…] Mit meinem Mann habe ich immer Deutsch gesprochen. Meine Schwiegermutter war eine sehr einfache Frau, von ihr habe ich das Allernötigste gelernt. Aber sich richtig zu unterh­alten, das habe ich durch eine junge Nachbarin gelernt – und durch meine Kinder. Als Gesellschaft hatte ich mir deutsch sprechende Leute ausgesucht. Ich habe ganz, ganz schwer Türkisch gelernt. Ich hatte eigentlich gar keine Zeit, mich mit der Sprache zu beschäftigen, ich war mit meiner Familie dermaßen beschäftigt – wir waren sechs Personen. Wenn ich da mal fünf Minuten freie Zeit hatte, wollte ich mich hinsetzen und ein Buch lesen. Darum bin ich eigentlich nie in einen größeren Bekanntenkreis reingekommen, ich hatte auch nicht das Bedürfnis.

[…] In meinen Personalien stand unter Religion: deutsche Religion. Wer das geschrieben hat, weiß ich nicht. Man hat mir empfohlen, das ändern zu lassen, es kann irgendwie mal Schwierigkeiten geben. Wir waren zufällig gerade im Dorf meines Mannes. Damals hatte sich schon herumgesprochen, dass ich den Koran lesen kann, in Originalsprache. Vor allen Dingen wissen die Leute dort, dass ich mich sehr um meine Schwiegermutter gekümmert habe. Wir haben gesagt, dass ich eine Bescheinigung haben möchte, dass ich zum Islam übergetreten bin. Da haben sie mir ohne weiteres etwas geschrieben, Stempel drauf, bitte schön. Auf dem Papier ist ein Passbild, auf dem ich schön ein Kopftuch umgebunden habe – und das war’s. Ich kann Arabisch lesen und schreiben. Sprechen geht nicht, mit einem europäischen Mund kann man das nicht. Übersetzungen konnte ich auch ganz gut machen. Aber das ist schon viele, viele Jahre her. […]"

 

aufgezeichnet von Dorte Huneke für die Ausstellung "Erinnerungen an eine neue Heimat"

Der zweisprachige Katalog und die Filme zur Ausstellung sind über das KulturForum erhältlich.



KulturForum TürkeiDeutschland e.V.  Niederichstr. 23 . D - 50668 Köln . phone +49 (0)221 - 12 09 06 80 . fax - 139 29 03 . info@das-kulturforum.de