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Eva Saroglu


aus: "Erinnerungen an eine neue Heimat"

1945 in Istanbul geboren
seit 1966 in Berlin

"Ich stamme aus einer normalen Istanbuler Familie, weder reich noch arm. Als junges Mädchen habe ich oft daran gedacht, ins Ausland zu gehen. Aber was wusste ich schon vom Leben? Als ich 18 war, sagte Sokrates, der griechische Herrenfriseur aus Kurtuluş, den ich aus Kindertagen kannte, zu mir: ‘Geh nicht weg. Heirate mich!’ ´Das taten wir und eine Zeit lang lief alles gut. In seinen Laden kamen Griechen, aber auch viele türkische Freunde. Wir hatten ein Haus. Nach 1962 änderte sich dann alles. Viele Griechen verließen die Stadt, Schulen und Kirchen wurden geschlossen, alles Mögliche wurde ver­boten und der Laden meines Mannes ging immer schlechter. Wir mussten weg. Im Leben hätte ich nicht gedacht, dass wir Istanbul verlassen. Wer verlässt schon Istanbul?

Wir sind echte Byzantiner, Alteingesessene, Einwohner Istanbuls. Als Kind bin ich auf die griechische Schule in Kurtuluş gegangen, wo wir Türkisch, aber auch Griechisch und Franzö­sisch lernten, Jungen und Mädchen zusammen. Meine Mutter war früh gestorben, einen Vater gab es ohnehin nicht. Ich wuchs unter der Obhut meiner Onkel und Tanten auf. Sie hatten viel Angst um mich, als Griechin. Darum wollte ich sehr bald meinen eigenen Haushalt gründen, auf eigenen Füßen stehen, arbeiten. Nach Schweden wollte ich. Aber ein Nachbar sagte zu mir: ‘Das ist nicht gut, schönes Mädchen, geh nicht fort, bleib hier wohnen, du gehörst hierher.’ Der Zusammenhalt im Viertel war damals sehr eng. Meine Schule gibt es heute nicht mehr, sie wurde wie all die anderen geschlossen.

In Griechenland gab es in den 60ern, als es in der Türkei immer schwieriger wurde, auch keine Arbeit. Also wollten mein Mann und ich es in Deutschland versuchen. Ich konnte ein wenig Deutsch. Zu den Untersuchungen gingen wir zusammen und wurden beide ausgewählt. Fünf Jahre wollten wir in Deutsch­land bleiben, sagten wir uns. Aber mein Mann, wurde nicht nach Deutschland gelassen. Sie hatten in seinen Unterlagen den Namen ausgetauscht und irgendwen anders geschickt. Die Leute zahlten damals ja Geld, um nach Deutschland zu kommen. So musste ich meinen Mann und unser kleines Kind zurücklassen. Zum Glück konnten sie später nachkommen.

[…] Ich kann nicht behaupten, dass ich atemberaubend gut Deutsch spreche, aber es reicht, um meine Anliegen vorzubringen. In den türkischen Läden spreche ich Türkisch, aber die Leute ant­worten auf Deutsch. ‘Ich bin eine Rum’, sage ich. Aber sie wissen gar nicht, was das ist, eine griechische Türkin. Sie sind in Deutschland geboren. Woher sollen sie wissen, dass in Istanbul damals 180.000 Griechen lebten? In Berlin ist die Kirche ein wichtiger Ort für uns geworden, unsere Kirche in Steglitz. Es ist eine orthodoxe christliche Gemeinde. Die meisten Mit­glieder unserer Gemeinde kommen aus Griechenland, aber es gibt auch Christen aus der Türkei, aus dem Osten des Landes und aus dem ehemaligen Jugoslawien. So oft es geht, wenn wir nicht krank sind, gehen wir in diese Gemeinde. Es herrscht dort eine warme Atmosphäre. Niemand würde sagen: ‘Du bist Türkin, du kommst hier nicht rein.’ Es gibt eine überirdische Kraft, davon bin ich überzeugt – aber ob diese Kraft Gott oder Allah heißt? Jedenfalls hat sie keine Nationalität.

In unseren Gesellschaften spielt die Nationalität eine wichtige Rolle. Aber es gibt doch auch noch die Religion, die persön­liche Geschichte, den Ort, an dem man geboren wurde... Die Griechen verstehen mich nicht, weil sie Istanbul, das Goldene Horn und die Türkei gar nicht kennen. Für die Türken bin ich eine Griechin, meine griechischen Freunde nennen mich die ‘türkische Eva’. Ich bin in der Türkei geboren, aber ich bin keine Türkin. Ich lebe in Deutschland, aber ich bin keine Deutsche; und in Griechenland bin ich keine Griechin. Weil ich einen türkischen Pass habe. Man sagt ja: ‘Wer zwei Heimat­en hat, hat keine.’ Ich habe drei und fühle mich am wohlsten in Deutschland. Man sagt ja auch: ‘Wo du deinen Magen sät­tigst, da ist deine Heimat.’ Ich fühle mich in Deutschland zu­hause. Die Deutschen akzeptieren mich. Sie verstehen, dass ich eine griechische Christin aus der Türkei bin.

Der Mensch tauscht den Ort, an dem er geboren wurde, mit keinem anderen Ort der Welt. Und selbst wenn er ihn verlässt, wenn er an einen anderen Ort geht, so wird dieser Mensch immer sein Zuhause vermissen. Er wird die Plätze sehen wollen, an denen er gespielt hat, die Schule, die er besucht hat. Ein Mensch kann den Ort, an dem er geboren wurde, weder leugnen noch vergessen. Den Ort meiner Kindheit gibt es allerdings nicht mehr. Ich lebe jetzt in Berlin. Alle zwei Wochen treffe ich mich mit ehemaligen Kollegen in einer Rentnergruppe in Kreuzberg, die meisten sind Griechen oder Türken. Wir beobachten uns beim Altwerden, erzählen, wer gestorben ist, was aus den gemeinsamen Freunden geworden ist. Die meisten kenne ich ja schon seit vielen, vielen Jahren. Außerdem gibt es eine griechische und eine türkische Seniorengruppe, mit denen ich regelmäßig zusammenkomme. Wir machen Ausflüge, kochen, singen, tanzen. Manchmal fahren wir raus auf die Spree, gehen zu einem Konzert. Vor allem, wenn es irgendwo türkische Musik gibt. Wenn Sie mich fragen, was meine Heimat ist, würde ich sagen, ich habe in diesen Menschen hier eine Heimat. Mit den Deutschen hatte ich eigentlich auch nie Probleme. Ich habe auch deutsche Freunde, wir haben mit guten Menschen zusammen gearbeitet. Aber meine engsten Freunde sind Türken. Na ja. Wie schön sich das auch anhört in meinen Erzählungen, für uns war es sehr schmerzhaft. Jetzt lache ich, damit ich nicht weine. Aber das ist schwer. Das zu erzählen, ist auch schwer. Denn wir haben es gelebt."

 

 

 

aufgezeichnet von Dorte Huneke für die Ausstellung "Erinnerungen an eine neue Heimat"

Der zweisprachige Katalog und die Filme zur Ausstellung sind über das KulturForum erhältlich.


 


(Fotos: Miriam Reer)

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