Kulturforum Türkei Deutschland e.V.
English VersionTurkish VersionIMPRESSUM | KONTAKT

Projekte
  Aufstand_Workshop
  Journalistenprogramm
  cafeterra
  New Media
FILME
Radio & TV
Newsletter
Presse
Über uns
Hrant Dink Forum Köln

“Die Probleme der Türkei nicht schweigend lösen”


In Nürnberg wurde der Dokumentarfilm “Mordakte Hrant Dink” vor ausverkauftem Haus erstaufgeführt. Eine anschließende Diskussion zum Thema “Quo vadis Türkei?" zeigte die Türkei als Land der Gegensätze - und des Optimismus.

Mit dem Mord an dem armenischen Journalisten Hrant Dink 2007 in Istanbul sollte eine wichtige Stimme der Türkei zum Schweigen gebracht werden. Tatsächlich führte aber “seine Ermordung schließlich zu einer großartigen Abrechnung der türkischen Gesellschaft mit ihrer eigenen Vergangenheit. Das ist hier fast wie eine Revolution“, beschreibt Karin Karakaşlı, Journalistin und ehemals enge Mitarbeiterin von Dink, in dem Dokumentarfilm “Mordakte Hrant Dink” die gegenwärtige Lage in ihrem Heimatland, der Türkei. „Mit seinem Tod erfüllte Dink sozusagen seine eigene Mission.“

Der Film von Osman Okkan und Simone Sitte, der am 28. Februar auf dem Nürnberger Filmfestival Türkei/Deutschland erstaufgeführt wurde, versammelt zahlreiche, zum Teil widersprüchliche Stimmen zum belasteten Verhältnis zwischen Armeniern und Türken. Sie beschreiben die Zeit vor und nach der Ermordung Dinks, aber auch die immer deutlicher zutage tretenden mörderischen Machenschaften des “tiefen Staates” in der Türkei. „Wir wissen, dass ein eindeutiger Bezug [zum Geheimbund Ergenekon] besteht, dass Hrant Dink zu Lebzeiten vom Gründer und Anführer dieser Bande direkt bedroht worden ist“, sagt Yasemin Çongar von der liberalen türkischen Tageszeitung Taraf. Viele Staatsanwälte und Ermittler seien überzeugt, dass auch hinter dem Mord an Dink diese Bande stehe.

Quo vadis Türkei?

Der Film zeigt eine Türkei, die Hrant Dink getötet hat – und eine Türkei, die ihn geschätzt und verehrt hat, die bis heute um ihn trauert: Auf diese bestehenden Widersprüche innerhalb der türkischen Gesellschaft verweist Etyen Mahçupyan, seit 2007 Herausgeber der von Dink gegründeten Wochenzeitung Agos, in einer anschließenden Podiumsdiskussion zum Thema „Quo vadis Türkei?“.

„Die Menschen im Westen glauben, es gebe für die Türkei nur zwei Wege“, so Mahçupyan: eine Entwicklung Richtung Moderne und Säkularismus, oder die Hinwendung zur Religion, mit zunehmender Männerdominanz und der Einführung der Scharia. Es gebe aber einen dritten Weg, der das Relative zulässt. Dieser Trend komme allerdings nicht, wie man in Europa vermuten könnte, aus den säkularen Reihen. Ein authentischer Individualismus entwickele sich hingegen unter den Muslimen, sagt Mahcupyan und spricht von einer neuen Bourgeoisie. Im Vergleich zu vor 10 Jahren sei die Türkei heute viel freier. Aus europäischer Sicht, seien die Entwicklungen jedoch nur schwer begreiflich. „Seit 100 Jahren entwickelt sich die Türkei durch Widersprüche, das ist die Demokratie der Türkei”, so Mahçupyan.

Demokratie und Widerspruch

Eine Gesellschaft trage immer Widersprüche in sich, sagt der türkische Publizist und Wissenschaftler Murat Belge. Wobei zunächst herauszufinden ist, was die Menschen im Land wirklich denken: Eine Gesellschaft, die ständig zweifelt und unsicher ist, äußere nicht, was sie denke, warnt Belge. Sie wiederhole nur die offizielle Meinung. Das große Verdienst Hrant Dinks bestehe darin, eines der brisantesten Tabuthemen der Türkei zur Sprache gebracht und die Menschen zum Reden ermutigt zu haben. Ein wesentlicher Schritt: Denn die Probleme der Türkei kann man nicht schweigend lösen, wie Belge betont.

Die „message“ von Hrant Dink habe sich durchgesetzt, sagt Regisseur Osman Okkan: „Sein Tod hat etwas bewirkt. Viele Menschen haben nach der Ermordung Hrant Dinks angefangen nachzudenken.” Man müsse sich zudem vor Augen führen, dass es in der Türkei etwa 17.000 ungeklärte Morde gibt, und zwar abgesehen von den blutigen PKK-Kämpfen. Der Fall Dink gebe einen kleinen Hoffnungsschimmer: „Zum ersten Mal wurde damit begonnen, nach den Drahtziehern zu ermitteln und diese unter Anklage zu stellen.” Wobei einflussreiche Kräfte in der Republik Türkei weiter versuchen, die Aufklärung des Mordes zu verhindern.

Wer das im Film nach- gezeichnete Kräftemessen gewinnen wird, ist noch offen. „Solange es Menschen wie die Familie Dink, Etyen Mahçupyan und Murat Belge in der Türkei gibt, die sich mit ihrem Leben für die Menschen- rechte und Minderheiten einsetzen, habe ich Hoffnung“, so Okkan.





KulturForum TürkeiDeutschland e.V.  Niederichstr. 23 . D - 50668 Köln . phone +49 (0)221 - 12 09 06 80 . fax - 139 29 03 . info@das-kulturforum.de